„Keine Region ist davor sicher“ Inter­view mit Andreas Becker vom DWD

Starkregen hat 2018 bundesweit etliche Orte unter Wasser gesetzt. Künftig werden wir noch öfter mit solchen Ereignissen rechnen müssen, sagt Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst. Das liegt wahrscheinlich am Klimawandel.

Herr Becker, 2014 ging ein Starkregen über Münster nieder, 2016 traf es Simbach am Inn und Braunsbach besonders schlimm. 2017 regnete es stundenlang über Berlin und in diesem Jahr erwischte es beispielsweise Wuppertal oder Hamburg. Täuscht der Eindruck oder erleben wir immer öfter solche extremen Niederschläge?
Andreas Becker: Der Eindruck täuscht höchstwahrscheinlich nicht. Allerdings können wir mit dem Wetterradar erst seit 2001 die Niederschläge in Deutschland flächendeckend erfassen. Der Zeitraum ist zu kurz, um die Frage sicher beantworten zu können. Wir finden in den Daten aber Hinweise, dass sich die Intensität der Niederschläge erhöht.

Sind das noch normale Wetterschwankungen oder Vorboten des Klimawandels?
Becker: Um zwischen beiden Ursachen unterscheiden zu können, ist der Beobachtungszeitraum von 17 Jahren noch zu kurz. Den Klimawandel als Ursache können wir nur annehmen, und zwar über das grundsätzliche Verständnis darüber, wie Niederschlag entsteht. Eine wärmere Atmosphäre kann schlicht mehr Wasserdampf aufnehmen, was die potenzielle Niederschlagsmenge erhöht. Den messtechnischen Nachweis sind wir noch schuldig. Allerdings gehe ich davon aus, dass wir diesen mit der Verlängerung der radargestützten Niederschlagsüberwachung in den nächsten zehn Jahren erbringen werden.

Also müssen wir künftig häufiger mit solchen Ereignisse rechnen?
Becker: Ja, und zwar überall in Deutschland, also auch im Flachland, wo wir bisher von einer geringeren Starkregengefährdung ausgegangen sind. Dieses Ergebnis aus den Radardaten können wir schon als robust und somit belastbar bewerten.

Wie entsteht eigentlich Starkregen?
Becker: Niederschlag – und damit auch Starkregen – entsteht immer, wenn Luft besonders stark und schnell ansteigt und sich abkühlt. Das passiert beispielsweise, wenn Luftmassen zusammenströmen, wie an Wetterfronten, oder wenn sie auf ein Gebirge treffen. Oder wenn die Sonne die bodennahen Luftschichten aufheizt, dann brodelt die Atmosphäre ähnlich wie kochendes Wasser in einem Topf. Das nennen wir Konvektion. Und wenn zwei oder drei dieser Prozesse gleichzeitig auftreten oder ganz stark ausgeprägt sind, dann ist die Gefahr von Starkregen sehr groß.

Zu welcher Jahreszeit treten solche extremen Niederschläge gehäuft auf?
Becker: Die kurzen, besonders schadenträchtigen Starkregenereignisse von weniger als sechs Stunden entstehen fast immer bei konvektiver Wetterlage. Und die Saison hält in der Regel von Anfang Mai bis Ende September an. Dabei ist es ein Effekt des Klimawandels, das diese Saison immer früher beginnt. So hat es die ersten unwetterartigen Gewitter im Jahr 2018 bereits in der zweiten Aprilwoche gegeben.

Gibt es auch regionale Schwerpunkte?
Becker: Die relativ kurzen Unwetter können praktisch überall auftreten, keine Region ist davor sicher. Bei den länger andauernden Starkregenereignissen spielt hingegen die Topographie eine wichtige Rolle. So sind grundsätzlich die Nordränder der Mittelgebirge und das Alpenvorland anfällig für Starkregen. Da der Wind am häufigsten aus westlichen Richtungen weht, sind auch alle Westhänge der Mittelgebirge besonders gefährdet.

Wie gut lassen sich solche Ereignisse eigentlich zeitlich und räumlich eingrenzen und damit vorhersagen?
Becker: Leider nicht besonders gut. Für Vorwarnzeiten von 12 bis 24 Stunden liegt die räumliche Genauigkeit im Bereich von 100 Quadratkilometern. Das ist noch viel zu grob, um zum Beispiel THW oder Feuerwehren zielgerichtet auf ein Unwetter vorbereiten zu können. Die dafür nötige Genauigkeit war meist nur mit einer 30-60-minütigen Vorwarnzeit zu schaffen, maximal möglich sind allerdings knapp zwei Stunden. Die schlechte Vorhersagbarkeit macht Starkregen ja auch so gefährlich.

Kann da bessere Technik Abhilfe schaffen?
Becker: Wir arbeiten beim DWD mit Hochdruck daran, unsere Vorhersagen zu verbessern. Allerdings stehen die Kosten für die Vorhersage bereits jetzt kaum im Verhältnis zum Nutzen. Letztlich führt der bessere Schutz vor Starkregen nicht allein über ein genaueres Warnsystem. Das Risiko muss – ähnlich wie bei der Erdbebengefahr – durch Prävention reduziert werden.

Wie bewerten Sie den aktuellen Stand bei der Starkregenvorsorge?
Becker: Da gibt es noch Lücken. Nehmen wir zum Beispiel die Kanalisationssysteme der Kommunen: Die können meist nur Regenmengen, die alle zehn, maximal 20 Jahre auftreten, problemlos abführen. Seltenere Niederschlagsereignisse führen in vielen Städten unweigerlich zu ungeregeltem Abflussgeschehen – mit der Gefahr von Überflutungen und vollgelaufenen Kellern. Wenn extreme Wetterereignisse in Zukunft häufiger auftreten, sind weitere Anpassungen nötig.

Was wäre die Lösung: die Kanalisation ausbauen?
Becker: Nicht unbedingt. Die Leitungen so zu dimensionieren, dass sie auch sehr seltenen Starkregenereignissen standhalten, ist wirtschaftlich nicht sinnvoll. Es geht im Grunde darum, dass Wasser geordnet oberirdisch abfließen zu lassen. So können beispielsweise Spiel- oder Fußballplätze temporär als Überflutungsflächen dienen, wo das Regenwasser versickern kann. Dafür bräuchte man auch Straßen mit einem v-förmigen Querschnitt, um sie als Abflussrinnen nutzen zu können. Heute sind sie eher dachförmig. Zur Präventionen gehören darüber hinaus Gefahrenkarten, die jedem Anwohner zeigen, wohin das Wasser im Ernstfall fließen würde. Das bietet denen auch einen zusätzlichen Anreiz zur verstärkten Eigenvorsorge.